Tuesday, 3 February 2015

Schönheit und Hässlichkeit in Hampi

Wie der Titel vorweggreift vereint der Ort Hampi zwei sehr gegensätzliche Ereignisse meiner Reise. Obwohl ich mit dem Hässlichen anfangen will und das Schöne für's gute Gefühl am Ende berichten möchte, würde das Schöne doch beschattet sein vom Hässlichen. Demnach erzähle ich vom Schönen zuerst:

Hampi. Ein kleiner touristischer Ort. In der Mitte ein Fluss, wo Frau die Wäsche und Mann sich selbst wäscht. Eine Brücke gibt es nicht, nur ein Boot, das immerzu Tag ein, Tag aus von 7:30 bis 17:30 hin und her ächzt.
Unsere Unterkunft auf der Inselseite ist familiär, bezahlbar und heimelig. Auf unserer Seite des Flusses sind ein See mit Klippe zum Reinspringen und... Felsen. Der Grundbaustein des Schönen Teils.
Auf der anderen Seite des Flusses sind Tempel und Hampi Bazaar.

13. Januar abends. Nay, Tom, Nick und ich auf dem Weg zu den Felsen. Mit vorsichtigen, gezielten und ein paar gewagten Sprüngen klettern wir Fels um Fels höher. Gewagt und vorsichtig nicht weil es gefährlich ist, aber auf unnötige Verletzungen verzichtet man dennoch gern. Nach einer Weile klettern finde ich endlich einen Fels mit dem ich zufrieden bin. Ganz oben, ganz vorne. Schnaufend lasse ich mich nieder und der Stein unter mir schmiegt sich sogleich angenehm an mich.
Kaum mache ich es mir jedoch gemütlich, ertönt eine routinierte, ruhige, kaufmännische Stimme hinter mir: "Chai?" Ein routiniertes, ruhiges, kaufmännisches StimmCHEN, um exakter zu sein. Ein kleines Mädchen mit Termuskanne in der Rechten und Plastikbechern in der Linken steht neben mir. "Yes, thank you. How much?", erwidere ich perplex und krame nach drei 10 Rupien Scheinen, nachdem sie mir den Preis nennt. Sie schenkt mir ein, reicht mir den Becher und steckt die Scheine in einen Beutel, der um ihren Arm baumelt.
Ein breites Grinsen und sie dreht sich um. Mein Blick folgt der kleinen flinken Gestalt, wie sie leichtfüßig über die Felsen tänzelt und mich dastehen lässt wie ein Grobmotoriker in Gedanken daran wie ich jene selben Felsenlücken überbrückt habe. Nur wenige Momente zuvor. Nur doppelt so langsam und unflexibel.
Ich drehe mich wieder um und genieße nun die Weite, die sich vor mir erstreckt. Mit einem Becher heißem Chai in der Hand. Ich entspanne mich. Atme ruhiger und ruhiger. Nathan, Nick und Tom, die nur ein oder zwei Felsen hinter mir sitzen, habe ich komplett vergessen. Genauso alle Gedanken, die mich stören.
Heiß läuft mir der Tee mit sehr viel Milch und Zucker den Rachen herunter. Genauso wie ich es liebe. Indische Speisen sind nicht wirklich meins, wenn ich ehrlich bin. Aber ein guter Lassi oder noch besser, ein guter Chai überzeugt mich sehr.

Der Fels unter mir hat eine perfekte Kuhle um darin zu sitzen. Außerdem ist er angenehm warm. Genauso wie die warme süße Flüssigkeit, die sich nun ihren Weg durch meine Speiseröhre bahnt, und der immer weiter errötende runde Feuerball, der vor meinen Augen langsam sinkt und mit sich alle Wärme nimmt.
In der Ferne Häuser, die immer weiter orange gefärbt werden. Hier und dort Rauch, der dem gesamten Bild ein wunderschönes Detail spendet und doch nur der verbrennende Müll ist. Bäume, Palmen, die sich spiegeln. Spiegeln in saftgrünen halb unter Wasser stehenden Reisfeldern. Das ganze Bild umrahmt von Umrissen von Bergen im Hintergrund.
Rechts in meinem Blickwinkel mehr Felsen, die nun golden schimmern.
Einige Sonnenuntergänge habe ich bisher nun gesehen, auch von sehr schönen Aussichtsplätzen und obwohl dies nicht der spektakulärste ist, so ist es dennoch mein liebster. Beruhigend, entspannend und beeindruckend, wie noch nichts anderes zuvor, wirkt die ganze Atmosphäre, die Landschaft, die Farben der untergehenden Sonne und das leise Geplänkel der Gitarre auf mich, die weiter unten von ein paar anderen Reisenden gespielt wird.
'Genieße den Moment', ist die beste Beschreibung. Nur mich an diesen Moment auf den Felsen zu erinnern entspannt mich und lässt mich zugleich das Ende des Moments, das Ende meiner Reise fürchten.
Die Sonne gleitet langsam hinter den letzten Berg und nun beginnt erst das richtige Farbenspiel. Wenige Minuten später erstrahlt der Himmel in Rot-, Orange- und Lilatöne, die selbst die beste Chemie nicht so gut hinkriegt.
"Let's go, I don't wanna climb down the rocks in the dark."
"Just two more minutes, it's so beautiful right now."


Zwei Tage später, 15. Januar. Eigentlich hatten wir geplant den Tag am See zu verbringen, gleich dem vorigen Tag. Leider müssen wir jedoch umkehren. Heute ist ein Hindu Festival in Hampi, das sehr viele teils unangenehme indische Touristen anzieht. Baden im Bikini ist nicht möglich, denn viele Inder stehen angezogen daneben und gaffen, so dreist, dass man in Deutschland dafür wahrscheinlich festgenommen werden könnte.
Wir folgen also Ishvar, der hier normalerweise Chips und Bier verkauft und meint auf der anderen Seite des Sees habe man seine Ruhe vor ungewollten Blicken. Die schotterige Straße, die einmal um den See herum führt, ist recht eng verglichen mit der Zahl Rickshaws, Motor- und Fahrrädern, die vorbei fahren und so steigen wir einer nach dem anderen auf die Mauer, die Straße und See trennt. Sie ist knapp über der Seeoberfläche, aber ein ganzes Stück über der Straße.
Ich laufe vorweg. Hinter mir Tiffany, die wir auf dem Weg kennengelernt haben und nun mit uns kommt, danach Nathan, Tom und Nick. Einen Fuß vor den anderen. Der Blick mal nach links, mal nach rechts und dann wieder fixiert auf die schmale Mauer vor mir. Weiter vorne sehen wir ein paar Inder genau wie wir in Entenformation auf der Mauer entlang balancieren.
Es ist ein schöner Tag. Die Sonne knallt und im See spiegeln sich die Felsen, die ihn umringen. Zu meiner Linken kreuzt nun die Straße unsere, die wir nehmen müssten, um zurück zum Hostel zu gelangen, also Richtung Stadt. Doch Ishvar, der neben uns her auf der Straße läuft, sein Fahrrad mit Snacks und Getränken vor sich her schiebend, wollte uns ja eine ruhige Stelle am See zeigen zum ungestörten Baden.
Also weiter. An der kreuzenden Straße vorbei, unserer weiter folgend. Ich gucke auf das ruhige Wasser. Mein Blick läuft entlang der sonnenbeschienen Mauer, als etwas im Wasser plötzlich meine Aufmerksamkeit fesselt. Eine Frau schwimmt im Wasser, nicht sehr weit von der Mauer, aber knapp unter der Wasseroberfläche. Wie als sei ich in einem Film stellt mir mein Gehirn die folgende Szene nur noch in Zeitlupe als Erinnerung zur Verfügung. Etwas scheint merkwürdig. Die Frau starrt mich an und bewegt sich kaum. Ich brauche gefühlt eine Ewigkeit bis mein Gehirn registriert, was passiert. Ein Gluckern und Wasserschlucken ihres Mundes bringt meine Synapsen zum Arbeiten. Diese Frau schwimmt nicht, sie ertrinkt. Und an ihrem Blick und ihren kargen Bewegungen zu urteilen, reicht nicht mehr viel bis zum sicheren Tod. Kaum registriert mein Gehirn das und mein Körper beugt sich nach unten, um ihren Arm zu greifen, überkommen mich unerwarteter Weise Ekel und Angst zugleich. Was passiert hier? Vielleicht ist es eine Falle? Wenn ich ihr die Hand gebe, zieht sie mich dann mit rein? Kann das echt sein? Was soll ich machen? Kann ich sie überhaupt alleine rausziehen? Warum gibt sie kein Zeichen, dass sie Hilfe braucht?
Dumme, überflüssige, im Nachhinein peinliche Gedanken schießen mir durch den Kopf. Dennoch packe ich ohne Zögern ihren Arm, der trotz Nässe nicht aus meiner Hand rutscht.
Ihr Blick frisst sich wie eine ätzende Flüssigkeit durch meine Augen und mein Gehirn durch, zum Hinterkopf wieder raus und hinterlässt ein breites Loch. Glasig, unlesbar, unheimlich starren die beiden Pupillen mich an.
Auf einmal werde ich aus meiner Zeitlupe gerissen. "She is drowning!", ruft Tiffany erschrocken und vier Arme kommen mir Zuhilfe. Ehe ich mich versehe, liegt die Frau auf Tiffanys und Nathans Schoß, ihre Beine auf meinem. Das nasse Hosenbein ist leicht nach oben gerutscht. Nasse schwarze lange Beinhaare schauen darunter hervor, eng an ihrer olivfarbenen Haut anliegend. Der gleiche Ekel, der mich einen Moment zuvor, kurz vorm Rausholen, überkam, überkommt mich nun erneut. Nicht, dass mich lange Beinhaare bei Frauen ekeln. Nein, viel mehr das Gefühl der schweren, wegen den langen Beinhaaren aus europäischer Sicht ungepflegt wirkenden Beine, die mir den Eindruck aufzwingen, eine Leiche läge auf mir. Wie aus einem schlechten Krimi.
Tiffany hat sich so weggedreht von mir, dass ich das Gesicht der Frau nicht mehr sehe. Das Loch in meinem Schädel, das ihr starrer Blick erzeugt hat, klafft jedoch immer noch.
Wie langsam hatte ich tatsächlich reagiert? Allzu lange kann es nicht gewesen sein, denn Tiffany war kaum hinter mir gelaufen und hat sie erst gesehen, als ich mich bereits runter gebeugt hatte. Es muss also alles in Sekundenschnelle passiert sein.
Ich höre, wie die Frau nach Wasser fragt und Nathan und Ishvar sich schnell darum bemühen. Sie trinkt viel. Inzwischen haben sich einige Inder auf der Straße angesammelt. Zuschauer.
Da fällt mir ein, dass wir drei Inder vor uns auf der Mauer entlang laufen gesehen hatten. Sie müssen sie gesehen haben und sind einfach weitergelaufen. Dieses Festival zieht unheimliche Menschen an. Die Frau fängt an zu reden. Ein Wort, ein Name, immer wieder. Merken konnte ich ihn mir nicht. Dann redet sie noch mehr. Einer der Zuschauer übersetzt: Sie habe versucht sich umzubringen, sie könne nicht schwimmen. Sie habe Probleme mit der Familie gehabt und sei rumgereist und nun hier her gekommen, um ein paar Freunde zu besuchen. Ganz schlau werden wir aus den Übersetzungen nicht.
Nach einer Weile helfen wir ihr gemeinsam von der Mauer runter. Der Mann, der übersetzt, meint, er bringe sie zurück in die Stadt. Sie scheint sich nicht dagegen zu sträuben, also lassen wir sie mit ihm gehen, mit uns redet sie sowieso nicht wirklich.
Wie die beiden wegkommen, kriege ich gar nicht mehr richtig mit, ich bin zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Tausend Gedanken schwirren in meinem Kopf. Keiner will mehr an den See. Wir sitzen kurz in einem Café beim See und warten auf ein Rickshaw, das uns zurück zum Hostel fährt. Entspannen kann ich mich nicht mehr. Ich bin immer noch wie erstarrt als wir zurück kommen. Ihr Blick will einfach nicht aus meinem inneren Auge verschwinden. Sie wollte sich umbringen. Deshalb hat sie nicht nach Hilfe gerufen.. Oder weil sie nicht mehr genug Energie hatte. Haben wir sie für sie oder für uns gerettet? Vielleicht wäre es ja nur noch ganz kurze Qual gewesen und dann vorbei und wir haben es ihr vermasselt? Vielleicht hat sie ein so grausames Leben, dass es besser gewesen wäre wir hätten sie nicht gesehen?
Warum bringt man sich bei einem Festival um? Wollte sie gefunden werden? Oder wusste sie, dass Inder so reagieren, wie die, die wir vor uns auf der Mauer gesehen hatten, also mit Desinteresse?
Mit diesen ungeklärten Fragen und einem so hässlichen Ende muss ich diesen Post jetzt beenden. Der nächste wird schöner - und vielleicht auch ihr Leben verglichen zu vorher. Vielleicht war es gut, dass wir sie gerettet haben.

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